Pu ist ein Charakter aus den Büchern von A.A.Milne. der mich ein Leben lang begleitet hat.

Pu und ich

„Es ist schon traurig“, raunte Winnie Pu als ich ihn eines Tages mal wieder besuchte.

„Was ist traurig?“ fragte ich.
„Na ja, die Kinder….“
„Die Kinder sind traurig?“ wollte ich wissen.
Pu sah mich mit seinen großen Augen an.
„Nein, nicht die Kinder sind traurig. Ich bin traurig, wegen der Kinder.“
Ich schüttelte den Kopf. „Das verstehe ich nicht, Pu. Die Kinder freuen sich doch, wenn sie dich sehen – und wenn sie Geschichten von dir hören.“
„Das ist es ja gerade“ meinte Pu, „sie kommen mich ja nicht mehr besuchen.“
„Das kann ich gar nicht glauben.“

„Doch, leider ist es so.“ kam es traurig aus dem Mund des kleinen, dicklichen, Bären, den ich aus meiner Kinderzeit lieb gewonnen hatte und dem ich mich jetzt im mittleren Alter ganz gewaltig körperlich annäherte.

„Du meinst, es kommen nur noch selten Kinder in den 100-Morgen-Wald? Sie schlecken keinen Honig mehr und jagen Heffalumps und Wuschels? Es wird nicht mehr nach dem Nordpol gereist und auch kein Stöckchen-Spiel gespielt?“

Pu stand auf und ging ein kurzes Stück vom Baum weg, unter dem wir gerade noch so friedvoll gesessen hatten. Er blickte sich um, sah in die Ferne, den Hügel hinunter.

„Hier saßen Christopher Robin und ich auch oft und unterhielten uns. So wie wir beide jetzt. Aber auch das ist schon sehr lange her.“ Pu räusperte sich, und ihm lief eine Träne über die Wange. „Nachdem Christopher Robin in die Schule gehen musste, war nichts mehr so wie früher. Er hatte für immer weniger Zeit.“

„Die Schule ist wichtig, dass weißt du doch Pu? Christopher Robin muss viel lernen um weiterzukommen.

„Ich kann auch ohne die Schule gut leben“ meinte Pu trotzig.

Ich gesellte mich neben den liebevollen Bären, legte meinen Arm um seine Schulter und ließ ebenfalls meinen Blick über dieses wundervolle Land treiben. Ich sah wie Kaninchen vor seinem Haus das Gemüsebeet harkte, Eule am Himmel seine Bahnen zog, Ru mit Tigger um die Wette hüpfte – und Christopher Robins Haus. Die Fensterscheiben waren eingeschlagen, die Tür zugenagelt und der Garten ziemlich verwildert. Pu hatte recht: Es war wirklich ein trostloser Anblick.
Ich schlug Pu vor ein bisschen durch den 100-Morgen Wald zu wandern. Vielleicht, so hoffte ich, kam er auf andere Gedanken.
Aber nachdem wir schon eine ganze Weile gegangen waren merkte ich, dass dem nicht so war. Der Gang des Bären wurde immer schwerfälliger, seine Schultern schienen ihm wie Blei so schwer und er ließ sie hängen. Der einst so fröhliche Bär war ein Wrack geworden. Ich wollte genau wissen, warum dem so war.

„Es ist so, Christian“ antwortete Pu mir. „Die Kinder glauben nicht mehr an mich. Sie sehen immer nur irgendwelche Plastikpuppen, ferngesteuerte Autos, japanische Monsterkarten. Dann kommt noch das Fernsehen und diese Computerspiele hinzu.“

Ach darauf lief also alles hinaus, dachte ich. Haben die Kinder wirklich weniger Fantasie als früher – oder ist Pu, immerhin 1929 das erste Mal veröffentlicht – in Wirklichkeit nicht mehr zeitgemäß? Ich denke nicht, denn Pus Geschichten kommen nie aus der Mode. Aber der kleine Bär hatte schon Recht. Die Kinder besuchen lieber Hogwarts als den 100-Morgen Wald.

„Pu, das kann es aber nicht nur sein. Ich denke, die Kinder haben dich einfach nur vergessen. Sie kennen dich gar nicht. Sie wissen nicht, wie schön es im 100-Morgen Wald ist. Hier gibt es keine Hektik, kein Gerangel, keine Abzocke, keine Gefahr. Hier ist alles viel friedlicher als in der realen Welt. Manchmal wünsche ich mir, für immer bei Euch zu bleiben. Aber das geht leider nicht.“

„Warum?“ wollte Pu wissen. „Warum geht das nicht?“
„Nun ja, ich muss Geld verdienen – für Miete und Essen.“
Das Argument zog bei dem Bären aber nicht – wie ich schnell feststellen musste.
„Ha, du kannst bei mir wohnen. Ich habe immer ein Bett für meine Freunde frei und Essen ist ja auch kein Problem – bei mir gibt es Honig und Kaninchen kann bestimmt auch was von seinem Gemüse entbehren.“

Jetzt befand ich mich in der Zwickmühle.
„Am Ende sagst Du noch ich solle das Haus von Christopher Robin benutzen und dort wohnen.“

Das war leider die Falsche Antwort. Pu sah mich an und sein sonst so glattes Gesicht bekam immer mehr Falten. Seine Augen funkelten und ich sah wie Wut in ihm hochstieg.

“Du bist genau wie alle anderen!“ rief er aus. „Christopher Robin kommt bestimmt wieder und will dann auch in seinem Haus wohnen. Kommt einfach hierher, schmeichelt sich bei mir ein und will jetzt auch noch die Stelle von Christopher einnehmen. Das kann keiner.“
Pu drehte sich um und stapfte davon.
Traurig blickte ich ihm nach.

War das das Ende meiner Kindheit, meiner Träume. Der beste Freund in meinem Leben hatte mich verlassen. Warum eigentlich?
„Nein!“ rief ich aus. „Nein! Pu hat recht.“
Ich lief hinter dem Bären her, der zum Glück nicht der schnellste war.
„Du hast recht Pu,“ raunte ich außer Atem. „Ich kann Christopher Robin nicht ersetzen. Keiner kann das. Er ist nun einmal dein allerbester Freund. Und allerbeste Freunde sind so selten und wertvoll, das man sie immer im Herzen tragen sollte.“
Pu war stehen geblieben. Unsere Blicke trafen sich.
„Meinst du das ernst?“ fragte er.
„Klar! Du hast mir schließlich die Augen geöffnet.“
Da erhellte ein Sonnenstrahl das Gesicht des Bären und ein Lächeln umspielte seine Lippen.
„Dann ist ja alles gut.“

„Pu, ich kann aber nicht für immer hier wohnen. Ich habe auch außerhalb des 100-Morgen-Waldes viel zu tun. Aber ich komme dich sehr häufig besuchen. Das verspreche ich dir.“

Ich nahm Pu in den Arm, drückte ihn ganz fest an meine Brust und lächelte ihn an.

Nichts kann diese Freundschaft entzweien. Alles wird gut.


Pu der Bär und dessen Figur ist Eigentum von A.A. Milne und dessen Nachfahren.