Kapitel 6: Die Konferenz

 

Viele Kinder waren schon mit ihren Begleitern gekommen und redeten aufgeregt miteinander. Der Lärm in der Halle war unbeschreiblich laut. Wenn man den Raum betrat, konnte man an zehn verschiedenen Unterhaltungen in seiner Umgebung gleichzeitig teilnehmen, so verwoben waren die Gespräche.
Inuk ging zielstrebig auf Ade zu und sprach ihn an.

"Dann ist es also doch war, was die Dorfältesten erzählen: Es gibt Menschen mit dunkler Hautfarbe. Ich dachte, alle sehen so aus wie ich oder die anderen aus meiner Sippe."
Ade war nicht böse, es ging ihm ja genauso. So viele verschiedene Kinder, aus allen möglichen Ländern der Erde.
Daher lächelte er den Inuit-Jungen an und antwortete:
" Nun, du hast bis jetzt wohl auch nur dein Dorf gesehen, genauso wie ich, und nun, auf der langen Reise hierher, viele neue Dinge kennengelernt. Rochus, mein Begleiter, der Löwe dort drüben", dabei zeigte Ade auf eine Gruppe von Tieren, die in einer der Ecken stand," hat mir erst einmal Schnee gezeigt. Gefrorenes Wasser! Es war einfach unglaublich. Bei uns in Afrika ist es sehr sehr heiß, und wir müssen nach Wasser suchen. Seen trocknen aus und das Land verdorrt."

Die Augen von Inuk wurden mit jedem Wort Ades größer.
Ade hatte noch nie Schnee und Eis gesehen, dachte er aufgeregt. Inuk sprach sein Erstaunen aus.
"Ich kenne nur Schnee und Eis. Unsere Erde ist fast immer gefroren und wir können nur im Sommer etwas Gemüse anpflanzen. Aber ein Land, wo auch kaum Wasser vorhanden ist..." dabei schüttelte Inuk seinen Kopf und verlor sich in Gedanken.

Ade blieb noch eine ganze Weile neben dem Inuit stehen und merkte plötzlich, dass in jemand auf den Rücken klopfte.
Er drehte sich um und stand Lennart gegenüber.
"Es ist für alle hier sehr schwer, zu begreifen. Sieh dich doch um. Alle berichten von ihrer Heimat und die anderen hören mit Erstaunen zu. Selbst du blickst mich mit großen Augen an. Ich bin ein Seehund, und komme aus dem Norden, wie Inuk auch. Auch ich habe noch nie vertrockneten Boden gesehen, einen Ort kennengelernt, wo die Sonne immer heiß vom Himmel scheint. Rochus hat es mir eben gesagt. Uns Tieren geht es nicht anders wie euch."

Das Gespräch wurde plötzlich von einem Gong-Schlag beendet.
Langsam verstummte das Stimmengemurmel und erwartungsvolle Stille trat ein.
Ein zweiter Gong ertönte und die Blicke der Konferenzteilnehmer blieben gebannt auf ihm haften.
Da leuchtete auf einem Podest ein strahlendes Licht auf und Gaia erschien. Sie war wunderschön und man merkte ihr die Sorgen nicht an, die sie bedrückten.
"Obwohl", begann sie, "einer von Euch noch nicht angekommen ist, möchte ich jetzt schon mit der Konferenz beginnen. Baldur, ich möchte dich und ein paar deiner gefiederten Freunde bitten, euch auf die Suche nach Weißen Hirsch und Rufus zu begeben. Ich mache mir ernsthafte Sorgen."
Die Möwe verabschiedete sich noch schnell von Kaja und flog dann aus dem Fenster, um sich auf die Suche zu begeben.

Gaia schaute in die Runde und fuhr fort: "Kinder, setzt euch bitte. Ihr habt ja schon auf euren Wegen hierher den Grund unserer Zusammenkunft erfahren. Mir geht es sehr schlecht. In der Gestalt, die ich für euch ausgewählt habe, sieht man es mir vielleicht nicht an, aber guckt nur mal nach draußen. Dort werdet ihr schon viele Leiden entdecken können."
Die Kinder wussten natürlich, dass die letzte Bemerkung nur im übertragenen Sinne gemeint sein konnte und doch blickten sie aus den Fenstern.
Gaia folgte ihren Blicken. "Ich bin für jeden Vorschlag dankbar....", murmelte sie mit Tränen in den Augen.

Sofort gingen die Kinder ans Werk. Einzeln gaben sie ihre Vorschläge bekannt. Ein Kind wollte die Erwachsenen einsperren, ein anderes alle Tiere aus dem Zoo befreien und wieder andere wollten etwas ganz anderes.
Diese Diskussionen wurden mit aller Heftigkeit geführt. Jedes der Kinder wollte seinen Plan in die Tat umsetzen.
Nach drei Tagen gab es Gaia auf. So werden wir nie zu einer Einigung kommen, dachte sie.

Ade konnte nicht mehr. Seine Wut über die anderen Teilnehmer war im ins Gesicht geschrieben.
"Ihr seit ja wie die Großen!", rief er aus. " Seht ihr denn nicht, dass ihr schon das Benehmen der Erwachsenen angenommen habt. Die Politiker führen ebenso wie ihr endlose Debatten und führen große Reden. Aber zum Ziel kommen sie dabei nicht.
Jeder von Euch will seinen Kopf durchsetzen. Ich denke wir wollen anders sein, als die Großen. Ihr wolltet doch Gaia retten. Meiner Meinung nach will jeder von Euch nur in den Geschichtsbüchern der Zukunft stehen, als Retter mit dem genialsten Plan! Ich habe keine Lust mehr! Ich gehe!"

Bei den letzten Worten drehte sich der Afrikaner um und setzte zum gehen an. Er war gerade an der Tür als er ein lautes Poltern hörte.
"Halt warte!", rief Inuk und sprang von seinem Platz auf, wobei der Stuhl umfiel. "Du kannst nicht so ohne uns weggehen! Wir brauchen dich. Ich stimme dir in allen Punkten zu - diese Konferenz ist bis jetzt nicht so gelaufen, wie Gaia es wünschte. Aber wir können uns doch ändern, oder? Bitte bleibe."
Nach diesem Vorfall waren alle erschöpft und Gaia beendete die Konferenz für den Tag. Alle Kinder gingen in ihre Zimmer und unterhielten sich dort weiter.

*

Am nächsten Morgen betrat ein kleiner Araberjunge, namens Ahmed, das Podium für die Redner und rief aus: "Mein Plan ist der Beste. Wir machen einen Neuanfang auf dieser Insel hier. Gaia wird den Rest der Erde zerstören und wir könnten hier die Erde heilen."
Die Kinder waren begeistert, doch zeigten sich Zweifel auf dem Gesicht der Mutter Erde.
"Ich habe daran auch schon gedacht, aber bin mir nicht sicher, ob das wirklich nötig ist. Es scheint mir der letzte Ausweg zu sein."

Da wurde die Tür zur Halle plötzlich mit aller Kraft aufgestoßen.
Weißer Hirsch betrat mit Rufus an seiner Seite majestätisch den Raum.
"Ich traue meinen Ohren nicht", rief er aus. "Ihr wollt den Rest der Menschheit vernichten und so viele töten, die genauso denken wie ihr! Ihr seit genauso wie diejenigen, die die Erde ausbeuten."
Sein Blick streifte jedes einzelne Gesicht. Beschämt senkten die Kinder die Köpfe.
Weißer Hirsch sprach weiter: "Wer von euch entscheidet, wer auf die Insel hier darf und wer nicht? Du vielleicht, Ade oder du Kaja? Nein, ich möchte das nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Ich bin kein Mörder!"
José ging auf den Indianerjungen zu und meinte: "Du hast recht. Wir waren im Unrecht, aber es ist zum verzweifeln. Vor unseren Augen wird die Erde zerstört und nur wenige denken an die Zukunft. Bist du nicht auch der Meinung, dass viele nur auf Macht, Reichtum und Wohlstand aus sind. In unserem Dorf gibt es solche Beispiele zur Genüge!" Diego flog auf die Schulter seines Freundes und fing an, ihn zu beruhigen.
"Glaubst du nicht auch, dass Weißer Hirsch das nicht auch weiß?" flüsterte er ihm ins Ohr. "Viele Naturvölker werden durch die zivilisierten Industrieländer unterdrückt. Dabei können wir eigentlich alle von ihnen lernen. Also höre dem weisen Jungen dort genau zu."

Der Indianer hatte das Podest erreicht und Rufus blieb immer in seiner Nähe. Während der Reise hat sich eine feste, nie zu trennende Freundschaft zwischen ihnen entwickelt. Beide so verschieden und doch wieder gleich.

Weißer Hirsch hielt den Stab der Weisheit mit beiden Händen hoch über seinen Kopf, und die Spitze des Stabes begann zu leuchten. Ein Strahlenkranz erschien und jeder Anwesende wurde von einem Strahl auf der Stirn berührt.
"Dies ist das Erbe meines Großvaters. Er wusste, dass wir den heiligen Stab der Weisheit eines Tages brauchen werden. Ich werde Euch nun etwas von unserem Wissen vermitteln.
Wir müssen lernen, uns als Teil dieser Erde zu sehen, nicht als ihren Feind, der von außen kommt und ihr seinen Willen aufzuzwingen sucht. Dies hat ein weiser Indianer namens Lame Deer schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts gesagt. Und er hatte recht. Wenn wir der Erde etwas wegnehmen, müssen wir ihr auch etwas zurückgeben. Wir und die Erde müssen gleichberechtigte Partner werden. Wenn wir z.B. Bäume fällen um Holz zu haben, müssen wir auch neue Jungpflanzen säen, die wieder zu großen Bäumen heranwachsen können. Wir müssen ersetzen, was die Erwachsenen zerstört haben.
Wir müssen für einander Sorge tragen und für einander da sein. Deshalb müssen wir uns bei jeder Entscheidung, die wir treffen, fragen, welche Folgen sie für spätere Zeiten hat. Man darf nicht immer nur an sich denken! Wenn wir Erdöl verbrauchen, reicht es dann auch für uns oder für die Generationen nach uns?
Ich glaube, das wichtigste ist jetzt, erst einmal die Erwachsen davon zu überzeugen, dass sie im Unrecht sind und Gaia Hilfe braucht. Denn nur wenn wir gemeinsam den Weg gehen, können wir die Mutter Erde retten!"

Er spricht wie sein Großvater, Springender Bär. Ich werde ihn nie vergessen. Wir haben lange Gespräche geführt und doch haben die anderen Menschen ihn nicht verstanden. Seine Stammesbrüder schon, aber die übrigen nicht. Sie hielten ihn für einen alten Spinner. Nun, vielleicht hat sein Enkel mehr Glück. Ich wünsche es für ihn und mich ...

Epilog